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Joachim Witt und sein gezielter Griff ins Klo

Dummheit in Zeiten des Krieges oder: der kalkulierte Skandal.
Wann 25.11.2012
von 00:00 bis 23:55
Wo Bundesrepublik Deutschland
Termin übernehmen vCal
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Dass Krieg irgendwie doof ist und sich daran seit der Erfindung der Steinaxt nicht viel geändert hat, ist keine neue Erkenntnis. Dass Befreier auch als Verbrecher agieren können, ist ebenso allgemein bekannt. Trotzdem inspiriert das Thema Krieg immer wieder Künstler verschiedenster Genres zu beeindruckenden Werken. Beispielhaft sei hier Elem Klimows Film „Komm und sieh“ erwähnt, der schonungslos und realitätsnah die Gewalt deutscher Truppen in Weißrussland im Zweiten Weltkrieg zeigt. Ebenfalls brillant ist Metallicas „One“ und das dazu gehörige Musikvideo, in dem Sequenzen aus „Johnny zieht in den Krieg“ zu sehen sind.

Jenseits dieser Meisterwerke gibt es dann noch das Video „Gloria“ von Joachim Witt. Das Lied: schwülstig, überladen, sinnfrei - eigentlich nicht weiter der Rede wert. Witt weiß allerdings, wie man auch mit seichtem Pathos Schlagzeilen und letztlich Profit machen kann.  Schmerzfrei hat er sich auch früher schon gezeigt. In den 90ern folgte er dem Hype um die  „Neue Deutsche Härte“ mit gerollten r’s und dem Streben nach einer idealisierten „deutschen Ästhetik“ bei gleichzeitiger Negierung ihrer politischen Aspekte. Nun also „Gloria“.

Telepolis-Autor Marcus Klöckner schreibt in einem Kommentar zu diesem Video: „Die Soldaten, die hier als Unmenschen gezeigt werden, haben im Wesentlichen eine metonymische Funktion. Die gezeigten Soldaten sind ein Wirklichkeitselement, das Bestandteil des Krieges ist, aber weiter gefasst versinnbildlichen sie auf künstlerischer Ebene durch das Mittel der visuellen Gestaltung das Grauen und die sich in jedem Krieg auf ihre eigene perverse Art unweigerlich vollziehende Entmenschlichung der Kriegsteilnehmer.“ Ist das so?

Während Witt von Sehnsucht singt, sieht man Soldaten, die eine Frau vergewaltigen. Die Darstellung ist drastisch: gierige, verzerrte Gesichter. Ein Soldat steht dabei und raucht, ein anderer zieht feixend Grimassen. Um die Demütigung zu vervollkommnen filmt einer der Männer das Geschehen mit dem Handy und um kein Klischee auszulassen sieht ein kleines Mädchen mit traurigen Augen der Szenerie durch einen Türspalt zu.

Die Darstellung des Ortes erinnert stark an den Balkan. Die Soldaten tragen Uniformen und Helme der Bundeswehr. Das auf den Feldhemden aufgenähte Hoheitsabzeichen Deutschlands ist eindeutig zu erkennen. Wenig verwunderlich also, dass das Video vor allem bei den Soldaten der Bundeswehr und ihren Angehörigen auf Kritik stößt, aber (glücklicherweise) auch in weiteren Kreisen der Bevölkerung. Nachdem dann auch ein zünftiger Shitstorm über Witts Facebook-Seite hereingebrochen ist, bemüht der Sänger sich zwischenzeitlich um Schadensbegrenzung. Scheinbar jedenfalls.

Zitat Witt: „Da es hier im Moment viele Einträge von Bundeswehrangehörigen bezüglich des Videos zu GLORIA gibt, möchte ich folgendes dazu sagen: Bei dem Video zu GLORIA handelt es sich unmissverständlich um eine Kunstform! Wir zeichnen in großen und anspruchsvollen Bildern ein apokalyptisches Horrorszenario! Die Soldaten in diesem Video sind austauschbar! Wenn sich jemand und das tun augenscheinlich viele, auf Grund des dargestellten Hohheitszeichens auf den Uniformen, angegriffen oder gar beleidigt fühlen, entschuldige ich mich dafür!“

Die Formulierung zeigt schon wenig Empathie. Entschuldigen können den Vorfall schließlich nur die, die beleidigt worden sind. Witt entschuldigt sich allerdings gleich selbst. Von solchen sprachlichen Feinheiten abgesehen ist sein Statement allerdings auch wenig glaubwürdig, wenn man es im Zusammenhang mit einer anderen Äußerung in Bezug auf die Bundeswehr  sieht, die er in einem Interview hinterher schiebt: "Es gibt jährlich rund 80 Fälle von sexuellen Übergriffen, zum Teil Vergewaltigungen. Das ist nachweisbar“. Also sind die Soldaten doch nicht austauschbar? Und wenn sie es sein sollen: warum dann die spezifisch deutschen Uniformen der Bundeswehr inklusive Hoheitsabzeichen?

Großes Unverständnis an der Beurteilung dieses Machwerks zeigen auch viele Fans, die sich kritiklos hinter ihr Idol stellen. Zu viel von Witts Musik führt offenbar dazu, dass nicht mehr erkannt wird, was an diesem Video und den Aussagen des Sängers nicht stimmt.

Kritik an Krieg und Militarismus in allen Ehren. Diese sollte aber schon irgendwie fundiert sein. Ein kurzer Faktencheck: in den letzten 20 Jahren haben rund 300.000 deutsche Soldaten in verschiedenen Auslandseinsätzen gedient. Es gab in diesem Zeitraum keinen dokumentierten Fall einer Vergewaltigung oder eines gezielten Mordes an Zivilpersonen. Es gab auf Seiten der Bundeswehr allerdings über 100 Tote, hunderte Verstümmelte und tausende traumatisierte Soldaten. Das war und ist der Preis für diese Einsätze.

Tatsächlich ist es die Aufgabe der Bundeswehr, Morde, Plünderungen und Übergriffe auf Zivilisten zu verhindern und die Täter der internationalen Gerichtsbarkeit zuzuführen – und diese Aufgabe erfüllt die Bundeswehr auch. So wurde beispielsweise der ehemaligen Paramilitär Radomir Kovac verhaftet, nach Den Haag überstellt und zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt. Ebenfalls von deutschen Soldaten verhaftet und zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde Milorad Krnojelac, Ex-Kommandanten eines Internierungslagers auf dem Balkan.

Dass diese Einsätze nicht risikolos sind, wurde spätestens am 12. Oktober 2000 deutlich, als Soldaten der Bundeswehr ausrückten um den Kriegsverbrecher Janko Janjic in Foca (Bosnien-Herzegowina) festzunehmen. Janjic war angeklagt wegen Folter, Vergewaltigung und Versklavung bosnischer Frauen. Es war bekannt, dass er immer eine Handgranate bei sich trug, die er auch prompt zündete, als die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte aus Calw das Haus stürmten, in dem er sich versteckt hielt. Die Soldaten haben trotz dieser bekannten Gefahr ihren Job gemacht, zwei von ihnen wurden dabei schwer verletzt. Einer hat heute ein steifes Knie, einem anderen zerriss es die linke Hand.

Witt scheint das reichlich egal zu sein. Er produziert gemeinsam mit seinem Label Columbia (Teil von Sony Music) einen kalkulierten Skandal, um ein mäßiges Video für ein mäßiges Lied zu pushen und versteckt sich dabei hinter dem Begriff der Kunstfreiheit. Dass diese Freiheit auch von irgendwem gesichert werden muss, steht für ihn offenbar nicht zur Debatte. Vielleicht sollte er mal versuchen, sich gegenüber den Taliban auf seine Kunstfreiheit zu berufen.

Noch feiger als Witt ist dabei nur noch die Berliner Produktionsfirma, von der das Video stammt. Die Süddeutsche Zeitung schreibt hierzu: >> Bei Doity, die das apokalyptische Musikvideo hergestellt hat und sonst von der Deutschen Bahn bis hin zu den Rappern Sido und Bushido für ein ausgesprochen breites Kundenspektrum arbeitet, will man sich zu "Gloria" nicht äußern. Geschäftsführer Till Strauß fordert am Telefon sogar, man möge nicht schreiben, dass er nichts sage.<<